Hallo, ich bin Rim! Ich bin Deutsch-Dozentin, aber arbeite jetzt neuerdings auch in einem islamischen Bestattungsinstitut. Ich bin ein sehr optimistischer und zuversichtlicher Mensch. Ich habe meinen Frieden mit der Welt gefunden und versuche den Menschen in meiner Umgebung mit Empathie und Nächstenliebe zu begegnen – und einem Lächeln!

Rim, Du wohnst ja nicht direkt in Eidelstedt, aber kennst den Stadtteil vor allem durch dein Engagement. Was hast du alles gemacht?

Genau ich wohne in Schnelsen, das ist ja gleich nebenan. In Eidelstedt war ich viel, als 2015 / 2016 die Camps hier waren. Hier war ich eigentlich jeden Tag, die Camps waren mein zweites Zuhause. Ich spreche ja Arabisch und dann habe ich vor allem die Arabisch sprechenden Familien unterstützt. Und das ging dann auch noch viel weiter, das war nicht vorbei als sie weggezogen sind. Viele wurden immer wieder versetzt. Also von hier in andere Camps und dann wieder in andere Camps und dann bis zur Grenze bei Schleswig-Holstein. Ich bin mit ihnen immer so mitgelaufen. Die Lage hier war ja sehr schwierig. Es sind so viele Menschen auf einmal gekommen und Deutschland war ja erst einmal völlig überfordert. Es gab keine Duschen, keine sanitären Anlagen, sie haben auf dem Fußboden geschlafen und dann gab es einen Wasserschaden, alle sind nass geworden und hatten keine Betten. Das musste ja so Stück für Stück erst alles aufgebaut werden. Und dann mussten die Asylanträge gestellt werden, einige sind dann auch jahrelang hier geblieben. Manche wurden auch wieder abgeschoben. Insgesamt war es eine sehr problematische Situation.

Was hat dich so motiviert? Also was war dein Impuls, da zu helfen?

Ja, ich glaube, das steckt schon in mir drin, seit ich klein bin. Meine Familie sagt auch immer: „Du wieder mit deinem sozialen Tick!“ Ich glaube, meine Empathiefähigkeit ist sehr, sehr ausgeprägt. Das war schon, als ich ein Kind war. Und ja … warum? Ich denke, weil ich immer das Gefühl habe, mir geht es gut, gesundheitlich, meine Eltern sind hier und es gibt immer Familien oder Kinder, denen es immer schlechter geht als mir. Also ich kann nicht die Welt verändern, aber ich finde, wenn jeder eine Kleinigkeit Gutes tut, das kann schon wirklich so viel verbessern.

Man sollte auch nur das machen, was man schafft. Manche haben viele Kinder, dann geht das nicht. Aber wenn du, zum Beispiel, weißt, einer Nachbarin geht es nicht gut, reicht es manchmal schon, mal einen Teller Essen zu bringen oder eine kleine Freude zu schenken. Zum Beispiel wie ich gesagt habe, dass ich den Arabisch sprechenden Familien geholfen habe. Die haben mir später gesagt: Das war so ein Trost, jemanden hier arabisch sprechen zu hören. Das alleine hat geholfen, egal was ich gesagt habe. Aber, dass ich, als die hier Geborene, arabisch spreche hat ihnen gut getan.

Was bedeutet Vielfalt für dich?

Vielfalt heißt verschiedene Kulturen, mit oder ohne Migrationshintergrund, verschiedene Hautfarben, einfach vielfältig zu sein und jeden eben so zu akzeptieren, wie er ist. Für mich spielt es keine Rolle, welcher Religion du angehörst, welche Herkunft du hast. Das Herz, dass der Mensch hat, das ist für mich am Wichtigsten. Hauptsache er ist gut. Und es kann auch mein Landsmann sein, der nicht gut ist, und der andere ist nicht mein Landsmann und ein liebenswürdiger Mensch. Menschlichkeit ist mir einfach am wichtigsten.

Also für mich gesprochen – ich bin in Deutschland geboren, habe aber Migrationshintergrund, meine Eltern kommen aus Tunesien. Ich habe aber einen türkischen Mann geheiratet, deswegen denken viele ich bin Türkin, wegen meines Nachnamens. Ich bin mein ganzes Leben lang hier in Deutschland, aber ich habe auch andere Einflüsse. Ich muss doch jetzt nicht nur in eine Richtung gehen, mich für eine entscheiden. Ich kann doch auch vielfältig sein – so wie ich bin, bin ich vielfältig. Und andere Menschen, wie ich, sie möchten so akzeptiert sein und sich wohlfühlen können wie sie sind.

Deine Biografie zeigt, dass Migration nach Deutschland nichts Neues ist. Dennoch ist es in den letzten Jahren nochmal anders thematisiert worden. Hat sich Deutschland in deinen Augen in den letzten Jahren noch mal mehr verändert?

Ja, ich muss sagen, also mir kommt das so vor, als hätte sich Deutschland eher in eine negative Richtung entwickelt. Als ich klein war, spielte es keine Rolle, wer woher gekommen ist. Mein Vater zum Beispiel ist Gastarbeiter, das heißt sie haben ihn aus der Heimat hier nach Deutschland hergeholt! Also die Firma ist extra von Deutschland nach Tunesien gereist und hat meinen Vater hier nach Deutschland hergeholt . Damals spielte es keine Rolle, woher man kam. Man war einfach Multikulti und hat den anderen so akzeptiert. Aber ich finde diese Wut oder diese … dass das alles fremd ist …. das hat sich so ein bisschen hochgeschaukelt. Plötzlich ist wieder wichtig, woher du kommst oder wer deine Eltern sind. Also es gibt natürlich beides, es gibt auch viele Menschen, die sind freundlich und offen. Aber die Grundstimmung hat sich schon mehr ins Negative verändert. Als zum Beispiel Joko und Klaas sich für die Flüchtlinge ausgesprochen haben, haben sie einen gewaltigen Shitstorm abbekommen. Da dachte ich nur: „Wie traurig!“ In den 90ern bei den Angriffen auf Flüchtlingsheime hat Deutschland doch auch Lichtermärsche organisiert und sich dagegen ausgesprochen. Aber jetzt…

Ich glaube die Menschen sind unzufrieden und haben Angst vor diesem “Fremden”. Ich glaube, da muss auf beiden Seiten besser kommuniziert werden. Also von den Menschen mit Migrationshintergrund, die dann manchmal so unter sich sind und von den Deutschen, die dann immer vor allem Fremden Angst haben. Ich denke, wenn Du jemanden kennenlernst, ist er nicht mehr fremd. Und dann sieht man, alle sind Menschen wie du und ich. Wenn du einen Menschen kennenlernst, seine Biografie und sein Denken, dann verstehst du die Person viel leichter.

Du trägst ein Kopftuch und bist Lehrerin, hat dich das vor Probleme gestellt?

Ich kann theoretisch in allen Schulen in Deutschland unterrichten, nur kann ich nicht verbeamtet werden. Also Grundschule, Hauptschule und Gymnasium. Aber ob die einen so auch nehmen? Also wenn ich jetzt eine Bewerberin bin und nochmal drei, vier andere ohne Kopftuch – das ist immer eine offene Frage, aber ich habe die Erfahrung gemacht, dass das Kopftuch nicht so gerne gesehen ist in der Realität.

Aber ich bin so ein Mensch. Ich verzage nicht. Ich bin gläubig und ich sage immer, Gott hat mir viele Wege geöffnet. Wenn sich eine Tür geschlossen hat, haben sich vielleicht zehn andere Türen wieder geöffnet. Ich bin so ein positiver Mensch und das was ich bin, verkörpere ich auch. Oft sehen Menschen bei mir zuerst das Kopftuch, aber dann wenn sie mich, also meine Persönlichkeit kennenlernen, dann merken sie was ich für ein Mensch bin. Dann haben sie mich doch immer eingestellt. Oder es ist auf Umwegen auf mich zugekommen. Eigentlich habe ich mich gar nicht so oft beworben. Ich bin ja auch viel ehrenamtlich tätig, und dann lernen Menschen mich kennen, vermitteln mich weiter und so kommt eins zum anderen. In der Regel, wenn mich Menschen kennenlernen, trauen sie mir auch alles zu. So bin ich auch zu meiner jetzigen Arbeit im Bestattungsinstitut gekommen. Und das hätte ich gar nicht vorher von mir erwartet, dass das etwas für mich ist. Aber ich habe jetzt gemerkt, dass ich etwas ganz Wunderbares kann: Ich kann Menschen Trost spenden. Und das ist etwas ganz Besonderes.

Wir haben auch eine Vorbildfunktion. Also ich finde, die Frauen, die Kopftuch tragen, haben eine Vorbildfunktion. Sie verkörpern ja das Kopftuch und müssen sich auch oft dafür rechtfertigen. Ich trage es nicht, weil mich jemand gezwungen hat oder so. Meine Mutter, meine Schwester tragen alle kein Kopftuch. Das war meine eigene Entscheidung im späteren Alter, also mit 33 habe ich angefangen Kopftuch zu tragen. Und oft werde ich dann gefragt: “Wurdest du jetzt von deinem Mann gezwungen?” Der war selbst im ersten Moment schockiert! Er meinte, bist du sicher, dass du das tragen willst?

Was ist für dich Solidarität?

Allgemein gesprochen ist Solidarität für mich Loyalität. Man ist solidarisch mit dem Nächsten, deinem Nachbarn vor der Tür oder außerhalb. Dass man zwischenmenschlich miteinander gut umgeht und sich gegenseitig zum Beispiel auch mal ein Lächeln schenkt. Dann ist es schon doch gleich viel schöner, oder? Dass man nett und gerecht zueinander ist, auch außerhalb der Familie und Mitgefühl zeigt.

Was hat Corona mit Dir gemacht?

Mir tut es vor allem um die Kinder leid. Ich habe versucht, so viel Normalität wie möglich einzubringen, aber klar – in der Kita oder Grundschule war das Thema. Am Anfang wurden ja auch die Spielplätze abgesperrt. Die Zeit, als ich mich noch mit einer Mutter mit Kind treffen durfte, fand ich das ok – aber als man sich dann nicht einmal mehr mit einer anderen Mutter treffen durfte, das fand ich schon nervig. Aber die Selbstmordrate und die Gewalt gegen Kinder und Frauen ist gestiegen – das fand ich wirklich schlimm.

Seit ich im Bestattungsinstitut arbeite, habe ich auf so vieles auch noch mal einen anderen Blick bekommen. Wo ich früher bei Sachen rumgemotzt habe, denke ich jetzt: „Lieber Gott, danke, dass du mir so viel Gesundheit geschenkt hast, eine Familie und Freundinnen.“ Das ist so viel wert. Manche Frauen in meinem Alter, oder jünger sterben und konnten nie eine Familie gründen. Es sterben ja auch Kinder, das verdrängt man im Alltag sonst sehr. Ich beschäftige mich schon mehr mit meinem eigenen Tod, aber trotzdem ist es immer noch so dieses nicht wahrhaben wollen. Aber es wird mir alles viel bewusster, es macht mich schon nachdenklicher. Nicht im negativen Sinne, nachdenklicher, sondern eher finde ich im positiven Sinne, dass man weiß, es kann jeden Tag vorbei sein. Irgendwie macht mich das auch dankbar.

Vielen Dank für das Gespräch!

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