Hallo, ich bin Daniela! Seit vielen Jahren helfe ich Familien in schweren Lebenslagen und habe deshalb einen Satz zu meinem Motto gemacht: “Sie sind nicht allein.”

Was arbeitest Du, Daniela? 

Ich bin Einrichtungsleitung im Theodorus Kinder- Tageshospiz. Vor sechs Jahren hat es mich nach Hamburg verschlagen und ich bin froh, dass ich hier „gestrandet“ bin.

Wie lange wohnst Du schon in Eidelstedt und was verbindest Du mit dem Stadtteil?

Ich verbinde mit dem Stadtteil das Theodorus Kinder- Tageshospiz und einen Ort mit vielen vielfältigen Menschen.

Hast Du einen Lieblingsort in Eidelstedt?

Ja, den Eidelstedter Markt. Es ist ein Ort des Lebens und des Umtriebes.

Was bedeutet für Dich Solidarität?

Alle für einen und einer für alle.

Denkst Du, unsere Stadt hat sich in den letzten Jahren verändert und wenn ja, wie? 

Bei den ganzen Baustellen muss sie sich zumindest städtebaulich verändert haben ;-)

Was bedeutet für Dich Vielfalt in Deutschland?

Vielfalt bedeutet für mich in Deutschland das Gleiche wie hier im Kinder- Tageshospiz. Viele Menschen aus allen Altersschichten mit unterschiedlichsten Nationalitäten an einem Ort.

Mein Name ist Erhard, inzwischen bin ich in erster Linie Familienmensch. Seit ich in Rente bin, reise ich viel mit meiner Frau und habe es oft mit unseren drei Kindern und den Enkelkindern zu tun. Ich war immer ein sehr aktiver Mensch, war lange Lehrer und später auch stellvertretender Schulleiter an einer Berufsschule. Aber auch leidenschaftlicher Schachspieler und Wanderer.

Wie lange leben Sie in Eidelstedt?

Ich wohne jetzt genau 40 Jahre hier, wir sind 1981 hierhergezogen.

Was hat Sie damals nach Eidelstedt gezogen?

Ich habe zuvor mit meiner Familie in Schnelsen gewohnt. Sozusagen war diese Ecke Hamburgs dann unser Revier und als wir dann ein Haus gesucht haben, haben wir dieses Haus hier entdeckt und es hat uns sofort so gut gefallen. Hier haben wir auch mit meinen Schwiegereltern, zuletzt mit meiner Schwiegermutter bis 2016 gelebt. Zwar haben damals noch viele die Nase über Eidelstedt gerümpft, aber uns hat es hier sofort gefallen.

Also was bedeutet der Stadtteil für Sie?

Die letzten 40 Jahre hab ich hier gelebt und der Stadtteil war immer auch das Leben meiner Familie. Und die Familie war immer im Mittelpunkt meines Lebens integriert in Kirche, Schule, Sportvereine, Pfadfinderschaft. Und das heißt also, für mich hat ein großer Teil meines Lebens hier in den Organisationen dieses Stadtteils stattgefunden. Alle drei Kinder sind im Stadtteil groß geworden, zwei unserer Enkelkinder werden jetzt im Stadtteil groß. Unsere Tochter wohnt 200 Meter von uns entfernt, also mit Familie. Das heißt, das Leben meiner Familie und mein Rückzugsort, der Ort, wo ich am liebsten bin, das ist Eidelstedt.

Das ist eine lange Zeit, da hat sich der Stadtteil sicherlich sehr verändert?

Es wurde sehr viel gebaut, vor allem am Center und ums Center herum. Da fallen mir immer nur Baustellen auf. Das Center ist nicht der große Wurf geworden, das hätte ich mir besser vorgestellt. Gut, es ist natürlich auch schwer gewesen, während der Corona Krise wieder zu öffnen, aber es gibt da drinnen so gut wie keine Gastronomie. Die große Halle im Center ist leer, also wenn ich da in ein anderes Center komme, da ist ein anderes Leben. Dass man im Stadtteil sich begegnen kann, irgendwo sitzen, auf der Straße ein Gläschen Wein oder einen Kaffee trinken kann, das würde ich mir schon wünschen.

Es hat ja auch ein bisschen mit dem Alter etwas zu tun, was sich verändert hat. Ich habe jetzt andere Interessen und da hab ich andere Menschen um mich rum als mit 40. Da war ich junger Vater und unsere drei Kinder waren hier im Stadtteil verwurzelt. Ich hab sie zu Pfadfindersachen und zu Sportaktivitäten begleitet, wir waren bei Kirchenaktivitäten usw. Jetzt gehe ich auf die Spielplätze mit unseren Enkelkindern und kenne fast jeden Spielplatz hier in der Umgebung.

In den 80er Jahren haben wir hier insgesamt drei Straßenfeste gemacht und dann noch, glaube ich, zweimal in den 90er Jahren und seitdem nicht mehr. Das heißt also, seit 20 Jahren hat jetzt kein Straßenfest mehr stattgefunden. Und über die Straßenfeste und die Kinder haben wir auch Kontakt zur Nachbarschaft gehabt, das ist jetzt alles weniger geworden. Dadurch sind zum Beispiel auch die längeren Gespräche auf der Straße entfallen. Seit zwei Jahren ungefähr ist das Altenheim (Gärtnerstift) hier auch zu, die Leute hat man auch mal getroffen, die haben auch an den Straßenfesten teilgenommen und man hat sich mal unterhalten, wenn man ihnen begegnet ist. Die sind seit zwei Jahren aus unserem Straßenbild verschwunden.

Und haben Sie einen Lieblingsort in Eidelstedt?

Auf alle Fälle mein eigenes Haus und mein eigener Garten. Mein anderer Lieblingsort ist ganz knapp, 500 Meter, nicht mehr in Eidelstedt, das ist der Krupunder See. Wo ich gerne hier in Eidelstedt bin, das sind die Kirchen, die sind mir vertraut, eben auch sowohl die eine, die wir hier in der Straße haben und die andere, die noch schönere, die Elisabethkirche. Da haben auch zwei meiner Kinder geheiratet und das waren traumhaft schöne Hochzeiten gewesen. Da bin ich sehr gerne. Ansonsten bin ich inzwischen wieder sehr gerne auf den Spielplätzen, die Schulen sind mir vertraut über meine Kinder und Enkel und meine Frau war auch Lehrerin hier in einer Schule.

Und wenn man das nochmal auf den Stadtteil bezogen sieht, wenn ich irgendwo hingehe, gehe ich zum Platz. Da streune ich auch ganz gerne um das Center und den Bürgerplatz herum. Das könnte eigentlich mein Lieblingsplatz sein, aber durch die ganze Bautätigkeit ob nun mit oder ohne Corona – also ich hoffe, dass er mal ein Lieblingsort wird. Ich würde gerne da mal hin spazieren oder mit dem Fahrrad hinfahren und nochmal eine Tasse Kaffee oder ein Gläschen Wein trinken oder nach einem Arztbesuch mich dorthin setzen.

Sie sind ein sehr aktiver Mensch, was machen Sie seit ihrer Pensionierung?

Natürlich reise ich gern mit meiner Frau und wir treffen uns gerne mit Freunden. Nach meiner Pensionierung habe ich dann auch noch ein paar Jahre weiter Schulen in Hamburg bei der Erstellung von Stundenplänen unterstützt, da ich gut mit der Software umgehen konnte. Ich habe auch Schulungen für andere Schulen gegeben. Mit 70 habe ich damit aufgehört, war dann aber noch eine Zeit aktiv in der Kirchengemeinde. Eigentlich bin ich Katholik, durch meine Frau und meine Familie bin ich aber interessanterweise eher in der evangelischen Gemeinde aktiv. Mit der Gemeinde haben wir auch zwei Reisen gemacht. Darüber bin ich dann gefragt worden, ob ich nicht Computerkurse für Senioren anbieten kann. Das habe ich dann zwei Jahre lang gemacht bis letztes Jahr.

Was das Sportliche angeht, geh ich hin und wieder zum Fitnessstudio und einmal in der Woche zum Volleyball. Darüber hinaus wandere ich gern, wie ich vorher schon sagte, und spiele Turnierschach.

Was ist für Sie Solidarität?

Für mich heißt das, dass einer für den anderen da ist, dass man sich gegenseitig unterstützt. Und ich meine es sogar mehr in die Richtung, dass sich der Privilegierte oder der Stärkere für den weniger Privilegierten, den Schwächeren einsetzt. Für mich als Gewerkschafter und Alt-68er spielt das schon eine große Rolle in meinem Leben.

Sie waren also aktiv der Gewerkschaft?

Ich bin Kind der 68er, insofern ein bisschen widersprüchlich, weil ich auch konservativ bin. Ich bin ein linker, konservativer Gewerkschafter. Konservativ, weil ich katholisch bin und weil ich aus einem konservativen Elternhaus stamme. Ich stamme aus dem Saarland und nicht aus Hamburg und bin 1970 hierhergekommen, 23-Jährig, zum Studium und bin dann hier hängengeblieben. Jedenfalls bin ich trotzdem ein Kind der 68er und als 68er hat man ein bisschen damals schon versucht, die Welt auf den Kopf zu stellen und alles infrage zu stellen, was Autoritäten waren. Als ich dann Lehrer wurde, war quasi mein erster Schritt, dass ich in die Lehrergewerkschaft eingetreten bin. Ich bin das dann auch noch geblieben, als ich in die Schulleitung kam – was ich einmal bin, das bin ich.

Und in der Hochphase war ich natürlich auch Aktionist, in den 80ern haben wir gestreikt, obwohl Beamte nicht streiken durften. Für bessere Arbeitsbedingungen und die Stundenanzahlverkürzung von Lehrern, ich war Vertrauensmann meiner Betriebsgruppe, ich war auch Personalrat. Und ich bin als Funktionär in die Lehrerkammer gegangen, dort haben wir dann auch für größere Bildungsgerechtigkeit oder Chancengleichheit, zum Beispiel auch für Kinder mit Migrationshintergrund oder aus Arbeiterhaushalten gekämpft.

Sie sagen, dass in den 80er Jahren eine Förderung von Kindern, unter anderem von migrierten Eltern schon tatsächlich Thema war …

Das war insbesondere in dem bildungspolitischen Bereich. An meinem Arbeitsplatz war es weniger Thema, da ging es höchstens darum, welche Möglichkeiten der Unterstützung man für bedürftige Schüler im Hause hat. Das Thema von Bildungsgerechtigkeit war dann eher Thema auf den Gewerkschaftstagungen, aber ist natürlich ein Ziel der Bildungsgewerkschaft, der GEW.

Aber, dass es Thema war, weist darauf hin, dass Migration und Vielfalt in Deutschland eine längere Geschichte hat. Wie nehmen Sie den Begriff Vielfalt und die Debatten darum wahr, was ist Vielfalt für Sie?

Vielfalt ist natürlich, so wie sich unser Stadtteil oder die Stadt hier aufstellt, dass wir inzwischen eine multikulturelle Gesellschaft geworden sind. Ich merke es, wenn ich zur Schule unserer Enkelkinder gehe. Da sind vielleicht noch fünf Namen, die mir geläufig sind und alle anderen Namen in der Klasse sind nicht mehr deutschstämmige Namen. Das heißt also, es ist inzwischen eine sehr internationale Gemeinschaft geworden hier. Und die holt mich auch privat ein. Ich hatte zwar in meinem Beruf auch immer damit zu tun gehabt, vielleicht die Hälfte meiner Schüler hatte Migrationshintergrund. Aber jetzt sehe ich es auch in meiner eigenen Familie: Unsere Schwiegertochter kommt aus Kasachstan und die Freundin unseres anderen Sohnes aus Serbien. Insofern habe ich auch Multikulti in der Familie. Eine Enkeltochter, die jetzt zwei Jahre alt wird, hat Migrationshintergrund und die Zwillinge, die gerade im Anmarsch sind, genauso. Ich sehe das alles positiv und als Bereicherung unserer Kultur und unserer Gemeinschaft an. Ich reise ja auch gerne in andere Länder.

Aber was ich schon sagen muss, was mich etwas befremdet – ich hoffe, dass das nun nicht falsch rüber kommt – aber, dass so viele Muslima wieder anfangen das Kopftuch zu tragen. Ich habe das Gefühl, dass es immer mehr werden und gerade auch die Jüngeren es vermehrt tragen. Und das behindert meines Erachtens nach die Integration.

Können Sie beschreiben, was Ihnen daran Sorge bereitet?

Ja, warum? Warum trägt man das Kopftuch? Natürlich aus religiösen Gründen, Aber es ist auch ein Symbol für Benachteiligung bzw. Unterdrückung von Frauen, oder? Ich habe das Gefühl, dass die Schülergeneration von Migranten, die ich hatte, anders war. Da war wirklich ein Drittel der Klasse zum Beispiel mit türkischem Hintergrund und die Mädels trugen keine Kopftücher und sind mit auf Klassenreise gefahren. Also das macht mir ein bisschen Sorgen, dass man sich selbst zum Objekt von Ausgrenzungen macht.

Wir haben hier im Rahmen des Projektes hier zum Beispiel auch mit einer Frau ein Interview geführt, die mit Anfang 30 beschlossen hat das Kopftuch zu tragen – weil die Religion in ihrem Leben eine wichtigere Rolle eingenommen hat. Sie sind ja auch ein religiöser Mensch, können Sie das nicht nachvollziehen, dass sich manche Menschen auch sichtbar zu Ihrer Religion bekennen wollen?

Ja, … ich kann das schon auch nachvollziehen. Ich darf ja eigentlich auch den Mund nicht so groß aufmachen: Durch meine sieben Jahre Pilgern auf dem Jakobsweg bin ich zum Muschel- Träger geworden und die Muschel ist ja auch so ein optisches religiöses Symbol. Und das ist ja so etwas Kopftuchartiges oder unser Kreuz, was wir Katholiken auch besonders gerne tragen. Ich bin da nicht ganz so weit von entfernt, mein Elternhaus war voller christlicher Symbole.

Vielen Dank für das Gespräch!

Hallo, wer seid ihr?

Wir heißen Nahla (10 Jahre) und Svenja (37 Jahre). Nahla ist Schülerin, ab Sommer in der 5. Klasse und Svenja Gesundheits- und Krankenpflegerin in der psychiatrischen Abteilung.

Wie lange wohnt ihr schon in Eidelstedt und was verbindet ihr mit dem Stadtteil?

Wir wohnen seit nun 3 Jahren und 5 Monaten in Eidelstedt. Wir verbinden die Nähe zum Niendorfer Gehege, unsere tolle Wohnung, die Ruhe und nette Nachbarschaft mit Eidelstedt.

Habt ihr einen Lieblingsort in Eidelstedt?

Wir sind gerne zum Einkaufen auf dem Eidelstedter Markt, dort bekommt man eine Vielfalt an Lebensmitteln für den täglichen Bedarf und freundliche Smalltalks. Der Spielplatz um die Ecke (Duvenacker).

Was bedeutet für euch Solidarität?

Wir sind eine aufgeschlossene Patchwork-Familie und freuen uns über jeden freundlichen Kontakt, über die Vielzahl an verschiedenen Kulturen, die in Eidelstedt leben, von denen wir uns nur bereichern können. Solidarität bedeutet für uns, dass man sich gegenseitig hilft, egal ob es die ältere Dame ist, welche die schweren Einkaufstaschen trägt oder man das geflüchtete Kind fragt, ob es noch Kleidung oder ähnliches braucht.

Hat sich Eidelstedt in den letzten Jahren sehr verändert und wenn ja, wie?

Ich wohne nun seit 16 Jahren in Hamburg. Klar es hat sich einiges verändert, alleine den steigenden Mietpreisen und wachsendem Wohnraum geschuldet oder gedankt. Ich wäre gerne in Eimsbüttel wohnen geblieben, aber dort konnten wir uns keine 4-Zimmer-Wohnung leisten. Nun bin ich sehr dankbar darüber in Eidelstedt mit meiner Familie zu leben, denn diese Ruhe bei unseren fast täglichen Spaziergängen im Gehege und die Nähe zum Trubel und der Alltag in Eidelstedt passt für uns genau so wie es ist zum jetzigen Zeitpunkt perfekt.

Was bedeutet für euch Vielfalt? 

Vielfalt in Deutschland ist großartig! Wie langweilig ein Leben wäre, wenn wir alle die gleichen Meinungen hätten, die gleichen Ziele verfolgen würden, dieselbe Religion ausüben würden, nur die deutsche Kultur kennen würden. Zum Glück dürfen wir als Familie Teil dieser Vielfältigkeit sein! Patchworkglück sei Dank.

Vielen Dank für das Gespräch!

Hallo! Wir sind Elisa, Elif und Masa

Wir gehen hier zur Schule, Elif geht zur Max-Träger-Schule, Elisa in Eidelstedt.

 

Was gefällt euch hier im Stadtteil?

Elisa: Mir gefällt es, dass mein Cousin gleich nebenan wohnt und dass es viele Spielplätze und Angebote gibt.

Elif: Mir auch.

Habt ihr einen Lieblingsort?

Elif: Der große Spielplatz.

Was ist euch wichtig im Leben?

Elif: Mein Vater, meine Familie. Ich liebe meine Oma, die eine ist aber tot und die andere ist in Rumänien.

Elisa: Mir ist auch die Familie wichtig, und die alten Menschen.

 

Was wünscht ihr euch von anderen?

Elif: Dass sie lieb sind und uns nicht ärgern.

Elisa: Es ist mir wichtig, dass alle Menschen gleich sind und die gleichen Chancen haben. Wenn man sieht, dass jemand geärgert wird oder er ein Problem hat, muss man helfen, finde ich.

Werden in euren Klassen viele Sprachen gesprochen?

Elisa: Ja, das ist echt komisch! Ich lerne viele Sprachen in der Schule: Persich, Arabisch und so. Und die schreiben auch anders, das kann ich gar nicht lesen. Das ist komisch, aber gut. Weil sie Deutsch sprechen, aber auch andere Sprachen. Ich spreche ja auch Türkisch, Rumänisch und Deutsch.

Elif: Meine Freundin spricht Kurdisch, und wenn ihre Mutter redet, denke ich, sie sagt was Böses – nur weil ich die Sprache nicht kenne. Dabei sagt sie ganz nette Sachen.

Elisa: Oder sie sagen ein Wort auf Kurdisch, das in meiner Sprache ,schlagen‘ heißt – aber bei ihnen heißt es etwas anderes. Das ist witzig.

Hallo, ich bin Uwe! Ich bin Diakon und wenn ich vor schwierigen Entscheidungen stehe, frage ich mich: Was würde Jesus tun? Und finde dann schnell die Antwort! Natürlich tue ich alles, was ich tue, für die Gemeinschaft und für meinen Glauben, und für mich selbst. Darin sehe ich meinen Auftrag. Bevor ich Diakon war, war ich Gärtner und habe mich ehrenamtlich in einer Kirchengemeinde engagiert. Ich habe sozusagen mein Hobby zum Beruf (Berufung) gemacht.

Was machen Sie als Diakon?

Ich habe viele Jahre ein sommerblaues Jugendhaus geleitet im Dallbregen, also Eidelstedt Nord und durch einige Veränderung haben wir das Haus aufgegeben. Und seit gut zwei Jahren bin ich verantwortlich für die Seniorenarbeit, leite ein Seniorentreff und bin hier sehr im Stadtteil oder im Quartier Eidelstedt aktiv. Ich habe auch viele Jahre davon als Kümmerer in Eidelstedt Nord im Wichmann Haus Projekte entwickelt, weil ich zu diesem Zeitpunkt hier keine volle Stelle hatte.

Welche Themen begegnen Ihnen da im Alltag, spielt Altersarmut eine Rolle in Eidelstedt?

Wir haben hier ja auch eine Lebensmittelausgabe der Tafel bei uns und dadurch kann ich deutlich sagen, unabhängig davon, dass ich in der Seniorenarbeit tätig bin, weil das schon vorher aufgefallen ist: Altersarmut ist ein großes Thema. Familien haben eine Möglichkeit ,Hilfestellung zu bekommen und wissen oft vieles, oder wissen wo sie sich beraten lassen können. Aber Senioren sind da an der Stelle eben oft unwissend. Jeder macht ja auch die Erfahrung: Keine Behörde kommt auf einen zu und sagt, Herr Loose, Sie können das und das beantragen. Nein, man muss sich auf den Weg machen. Und mir ist vor allem durch die Arbeit mit der Tafel sehr aufgefallen, dass viele Ältere einfach nicht wissen, welchen Anspruch sie haben. Sei es Wohngeld oder etwas anderes. Und selbst wenn es nur 50 Euro sind, aber sie haben Anspruch darauf. Und an dieser Stelle versuche ich dann Hilfestellung zu geben. Aber die Altersarmut, möchte ich sagen, die hat sehr stark zugenommen.

Und gibt es noch andere Themen?

Das sind natürlich auch teilweise Lebensfragen, ganz verschieden … Also wir als Kirchengemeinde haben das Diakonische Werk in der Königsstraße, die ja alle Beratungsbereiche abdecken und dann gibt es sehr viele Angebote hier in Eidelstedt. Wir sind hier, finde ich, sehr gut miteinander vernetzt. Wir haben die StaKo, also die Stadtteil Konferenz, wo viele Einrichtungen zusammenkommen und da erfährt man auch immer wer macht was, wo kann man Hilfe bekommen. Und dahin kann ich dann überall hin weitervermitteln. Also wo ich als ein erster Anlaufpunkt dienen kann oder sagen kann, ich kümmere mich und sie hören von mir. Also kein Abschieben, sondern irgendwie sagen, es gibt einfach Bereiche, wo ich sagen muss, da kenne ich mich nicht aus. Sozialgesetzgebung oder die Details mit den Krankenkassen oder Ähnliches. Das kann ich nur weitergeben, außer wenn es Glaubensfragen sind, die kann ich dann beantworten.

Aber das spielt ja wahrscheinlich auch eine Rolle?

Ja doch, Seelsorge spielt eine große Rolle. Auch gerade durch die Corona Zeit habe ich in der ersten Pandemiewelle sehr viele Besuche gemacht und da sind mir auch Senioren begegnet, die einsam sind. Also ich denke mal die, die zu uns kommen, die haben ein funktionierendes soziales Umfeld. Sie kommen einmal schon zu uns und treffen sich dann hier auch mit anderen. Aber es gibt eben auch die, die nur zu Hause sind oder die vielleicht einmal im Jahr kommen. Wir laden auch immer alle zwei Monate zwischen 100 und 200 Senioren zu einer Geburtstagsfeier ein, manche kommen dann wirklich nur das eine Mal und dann sind sie wieder weg. Also ich hab auch welche im Senioren-Kreis, die auch alleine leben. Die kommen am Dienstag und Donnerstag zum Senioren-Nachmittag, aber sonst haben sie keine Kontakte.

Und da haben Sie nun während Corona verstärkt aufsuchende Arbeit gemacht?

Ja, also ich habe vor allem Kontakt durch Briefe gesucht, die die Senioren bekommen haben. Die Briefe waren dann unterschiedlich gefüllt mit Gedächtnistraining oder einer tollen Geschichte oder einfach irgend so etwas – und das kam sehr positiv an. Oder eben durch Telefonate oder wenn es ging und die Leute es auch wollten, habe ich sie auch besucht. Oder wenn sie Hilfe brauchten, da hab ich immer jemanden gefunden, der mal mit der und der einkaufen gehen oder spazieren gehen konnte. Also das lief schon ganz gut.

Und haben Sie dann das Gefühl, dass die Corona-Zeit zu mehr Vereinsamung geführt hat oder sogar vielleicht eher zu mehr Solidarität?

Ich denke beides. Während des härteren Lockdown, wo viele Ältere auch keinen Kontakt zu den Enkeln oder den Familien halten durften, das war schon für viele sehr hart. Aber wiederum auch die Solidarität, die es dann innerhalb von Hausgemeinschaften gab. Also ich kann mich noch daran erinnern, selbst bei uns im Haus oder auch in dem Nachbarhaus, da hingen Zettel: „Brauchen Sie Hilfe? Schreiben Sie. Wir helfen!“ Man hat sich da noch mal bewusster wahrgenommen. Und Senioren haben mir erzählt: „Loose, wissen Sie, ich wohne hier schon so viel Jahre in der Straße und vor fünf Jahren sind Neue eingezogen – die haben jetzt mal bei mir geklingelt und haben gefragt, ob sie helfen können!“ Also es ist eine Bereitschaft des Helfens und der Solidarität nochmal auf einer ganz neuen Ebene entstanden. Bestimmt nur Einzelfälle, aber sie sind entstanden. Und man kann nur hoffen, dass es dabei bleibt.

Und haben Sie das Gefühl, Sie haben auch Leute verloren in der Zeit?

Das ist eben das, was ich überhaupt nicht einschätzen kann. Also wir haben jetzt ein Jahr lang, den Seniorentreff, der Raum ist total neu. Viele haben ihn noch gar nicht gesehen. Ich hatte mich dafür eingesetzt, neue Möbel anzuschaffen, der Raum ist heller, schöner. Aber ich konnte ihn noch nicht mit den Senioren richtig füllen. Im Augenblick kann ich überhaupt nicht einschätzen, wenn wir jetzt wieder beginnen, wer alles noch kommt. Vielleicht werde ich den Fahrdienst ausbauen müssen, um Senioren wieder mehr hier herzubringen. Denn, vereinzelt habe ich auch mal welche getroffen. Und da muss ich schon sagen, also vorsichtig ausgedrückt: Man sieht das Jahr körperlich. Weil sie eben keinen Sport machen konnten und nur alleine zu Hause waren. Dieses Jahr spürt man, dass sie ein Jahr älter geworden sind. Und deswegen kann ich überhaupt nicht einschätzen, wenn wir wieder am Dienstag und Donnerstag beginnen, wie viele kommen. Und ich denke, das ist auch in der Kinder und Jugendarbeit genau das Gleiche. Also gut, die Jugendhäuser sind gut besucht, aber es wird später wirklich die Frage sein: Wenn wieder richtig die Schule beginnt und es Förderprogramme braucht, haben die Jugendlichen dann überhaupt noch Zeit? Denn es ist ja auch bekannt, dass sehr viele Kinder und Jugendliche einen Nachholbedarf jetzt haben. Und da wird auch einiges an Veränderung kommen, dass sie weniger Zeit für Sport oder andere Aktivitäten haben. Also das ist nur ein eine Vermutung, aber ich glaube das schon.

Sie haben ja schon über die Nachbarschaftshilfen gesprochen. Was ist für Sie Solidarität?

Ja, was bedeutet für mich Solidarität … das ist aufeinander achten, einander wahrnehmen. Und wir als Kirche nehmen gerne das Wort Barmherzigkeit. Also Solidarität hat für mich mit Barmherzigkeit zu tun. Und natürlich auch gekoppelt mit dem Begriff Hoffnung, dass eben diese Solidarität noch stärker wird. Nicht nur wenn Corona ist, sondern auch allgemein. Also gerade wie ich eben erzählte, mit den Zetteln, die im Hausgang hängen. Dass so etwas auch trotzdem weitergeht, auch ohne Corona.

Ich lebe in einem Haus mit 21 Parteien. Ich bin froh, nicht 100 Wohnungen im Haus zu haben, wo ich gar nicht mehr die Möglichkeit hätte, alle zu kennen. Vielleicht mal ein Erlebnis, um das nochmal ein bisschen deutlicher zu machen: Meine Frau war zur Kur. Und dann sagte eine Nachbarin, ich war gerade auf dem Weg zu Arbeit,: „Oh, ich habe Ihre Frau lange gar nicht gesehen.“ Ich bin ehrlich und offen: Ich habe innerlich gedacht, Blöde Kuh, was geht dich das denn an?“ Ich bin weitergegangen und dann hat es in mir gearbeitet und ich habe gesagt, halt, stopp! Wieso merkt die das? Und ich bin zurückgegangen, habe bei ihr geklingelt, mich entschuldigt und ihr erzählt, dass sie zur Kur ist. Und da ist mir bewusst geworden, wie schnell man auch den anderen aus den Augen verliert. Also habe ich bei mir selber angefangen und habe oft meine Frau gefragt: „Du, ich hab den und den lange nicht mehr gesehen.“ – „Doch, den habe ich erst vorgestern gesehen“ – Ok, dann war ich auch zufrieden. Also dieses gegenseitige Wahrnehmen ist auch für mich ein Stückchen Solidarität. Auch wahrzunehmen, wer bei mir im Haus wohnt. Es ist doch wunderbar, dass es Menschen gibt, die an einen denken und denen es auffällt, wenn ich nicht da bin.

Und wenn Sie sagen, sie können Eidelstedt schon sehr lange. Wie hat sich der Stadtteil in Ihren Augen verändert?

Ich bin jetzt 15 Jahre in Eidelstedt – ja, der Stadtteil hat sich sehr verändert! Also ich denke, teilweise positiv durch neue Spielplätze, Restaurierungen… Gut, der Wohnungsbau, da kann man geteilter Meinung sein. Also ich denke schon, dass es gut ist, Wohnungen zu bauen, gar keine Frage. Und es sind schöne Wohnungen an der Oliver-Lißy-Straße und Hörgensweg, aber ich denke, sehr dicht bebaut. Und wenn man noch bedenkt, dass da auch noch ein Hochhaus hinkommt… Naja, jeder Quadratmeter ausgenutzt. Ich denke, große Enttäuschung war bei vielen, oder ist heute noch, das Einkaufszentrum. Das ist zwei, drei Jahre zu gewesen und alle dachten Wunder, was jetzt kommt? Und ja, es ist nicht gerade der Brüller. Da fahren viele wieder lieber ins Tibarg oder ins Elbe-Einkaufszentrum. Also ich glaube, wenn der Wochenmarkt nicht wäre, dann würde das Einkaufszentrum auch nicht so beliebt sein. Die Erwartungen waren einfach sehr hoch.

Ist Eidelstedt in vielfältiger Stadtteil?

Ja, ich denke, Eidelstedt ist ein ein sehr bunter Stadtteil, also auch bezüglich unterschiedlicher Bereiche. Es gibt für Kinder, Jugendliche, Erwachsene und Senioren unterschiedlichste Möglichkeiten. Aber auch, dass die Unterkünfte für Geflüchteten gibt, wo wir alle mit dran arbeiten. Auch, dass wir nicht sagen, so alle Angebote sollen in den sogenannten Unterkünften stattfinden, sondern auch sagen: „Nee, sie sollen auch rauskommen, sie sollen in den Stadtteil!“ Wir haben so viele unterschiedliche Angebote, die einfach genutzt werden können. Ich sage immer gerne wie ein bunter Blumenstrauß. Es sind nicht nur Rosen oder Tulpen, sondern natürlich ist auch eine Distel dabei. Aber es ist alles kunterbunt und das finde ich so lebendig. Wo Solidarität nochmal deutlicher werden kann. Also wenn ich an die Bereitschaft denke, im Praktiker Markt, als die ganzen Geflüchteten ankamen, welche Hilfsbereitschaft da einfach da war! Klar, auch mit den Problemen, die es gab, währenddessen oder jetzt. Aber dass bei den beiden Unterkünften am Duvenacker und Oliver-Lißy-Straße, dass da die Kooperation mit Fördern und Wohnen jetzt einfach klappt. Und so weiter. Wie gesagt, der Stadtteil ist für mich kunterbunt in seiner Vielfalt an Angeboten.

Was verbinden Sie denn mit Vielfalt?

Das Lernen, in der Unterschiedlichkeit gemeinsam zu sein. Wenn andere Menschen anders handeln, führen sie nicht etwas Böses im Schilde, sondern sie tun es, wie sie es in ihren Ländern, in ihren Kulturen gelernt haben und wie sie es gewohnt sind. Das müssen wir lernen und verstehen. Gleichzeitig möchte ich natürlich auch meine Kultur nicht unter den Teppich kehren. Also ich bin schon bewusst Christ und möchte auch meinen Glauben leben. Also das heißt eben nicht, alles andere hat Vorrang, sondern ich akzeptiere deinen Glauben, akzeptiere bitte auch Du meinen Glauben.

Gibt es einen Lieblingsort?

Dürfen es auch mehrere sein? Ja, also einmal ist es da, wo wir jetzt sind. Auf dem Friedhof hinter dem Gemeindehaus, hier in dieser Sitzecke habe ich mich immer regelmäßig mit ein, zwei Senioren zum Gespräch getroffen. Diese Friedhof im Allgemeinen finde ich einen sehr schönen Ort. Das ist wie eine Stadt mit vielen Straßen und jeder Grabstein ist ein Haus. Hier gibt’s auch noch eine schöne Stelle unten wo meine Eltern liegen. Ja, eigentlich der Friedhof ist so…

Und dann, ein sehr schöner Ort war auch, wo die ehemalige Marien Kapelle gestanden hatte, jetzt steht da ein Kindergarten. Also bedingt natürlich auch durch das Gebäude, aber der Ort hatte wirklich etwas sehr besonderes. Aber gut, da steht jetzt ein Kindergarten drauf, die Kapelle gibt‘s nicht mehr. Und die Christus und Elisabethkirche selbst.

Vielen Dank für das Gespräch!

 

Was macht mich aus? Ich bin sehr aktiv. Ich schaffe leider aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr so viel wie ich will, aber ich versuche. Ich nehme gerne ehrenamtlich an verschiedenen Veranstaltungen teil oder helfe, wenn jemand Hilfe braucht – wenn ich es erfüllen kann, bin ich dabei. Ich bin gerne unter Menschen! Und quatschen kann ich och …

Haben Sie einen Lieblingsort in Eidelstedt?

Also ich habe guten Kontakt zu Kirche. Das finde ich toll. Ich bin ja auch so ein Mensch, der gerne in die Kirche geht. Die machen uns das sehr leicht hier – wir reden immer von vor Corona – da haben sie uns immer mit einem Bus abgeholt. Man gibt ein paar Gröschelchen und dann fahren sie einen wieder nach Hause. Besser geht nicht. Weil es ist weit weg. Das ist ordentlich zu laufen. Da wird einem ganz viel geboten. Ja, die Kirche habe ich sehr, sehr intensiv kennengelernt. Ich habe einen Ansprechpartner.

Aber auch mein Zuhause, meine Straße. Wir haben hier einen Quartiers-Betreuer! Das habe ich in keinem anderen Stadtteil gehabt. Da ist man eingezogen. Fertig. Und das hab ich mir eigentlich gewünscht. Das war so ein Traum, hätte nicht gedacht, dass der sich tatsächlich erfüllt: Da wo ich hinziehe ist alles neu. Da bin nicht ich nur neu, sondern alle neu. Und das ist wirklich der Hammer. Woanders gibt’s keinen Quartiers-Betreuter, da gibt’s n Hausmeister und sonst nichts. Und hier ist man wirklich zuhause. Man hat hier so viele Leute und alle, die hier wohnen, grüßen sich, weil wir Anwohner sind. Hier kennt man sich und es wird sich gegrüßt.

Ja und gerade hier bei uns in der Straße wird ja so viel angeboten, mit dem Herbstfest, dem Frühlingsfest, dem „Sommer unterm Schirm“ und der Aktivzone, die wird im August eingeweiht. Das ist wirklich sagenhaft, was es hier alles gibt. Zu Corona Zeiten ist das zwar sehr schwierig, jeden Tag neue Vorschriften und so, aber wir haben uns da immer auf dem Laufenden gehalten und durch die Vorschriften gearbeitet.

Und wie ging es Ihnen persönlich mit Corona?

Nicht so pralle. Also das das war schon eingeschränkt, sehr eingeschränkt. Wir haben viel über online gemacht, das war so ein kleiner Trost. Aber natürlich anders, die Leute live zu sehen als auf’m Bildschirm. Aber es war besser als nichts. Man hat sie gesehen, man hat sich gefreut, man hat gewunken und sich unterhalten. Aber zum Beispiel mit Bus und Bahn, man überlegt sich sehr genau, ob man raus geht. Dann sind das so viele Leute, die Maske hier, die Maske da. Ich habe zwar eine Masken-Befreiung, aber das musste dann immer allen erklären. Da bin ich schon k.o. wenn ich ankomme im Laden – und dann der Nächste, bitte die Maske anziehen. Furchtbar stressig. Und nur so, wie eine Krake, greif, greif – man guckt gar nicht mehr, sondern greift nur schnell, damit man wieder schnell raus kann.

Aber Sie sind dennoch ehrenamtlich aktiv?

Ja, wie gesagt in der Kirche oder hier in der Nachbarschaft. Zum Beispiel auch hier die ersten drei Häuser in der Straße sind Flüchtlinge und da war ein Treffpunkt, ein Begegnungscafé – bis letztes Jahr vor Corona. Die Leute sprachen wenig Deutsch, aber man hat sich mit Händen und Füßen und langsam reden verstanden. Und es wurde von Woche zu Woche besser. Und das hat Spaß gemacht! Wir haben geguckt ein Brief, wo muss ich da hin? Kannst du mir das erklären? Was ich nicht wusste, musste ich googlen. Da ist kein WLAN gewesen, ich hab also gesagt, ich schreib mir die Fragen auf und nächste Woche sage ich euch das. Das war toll. Und die grüßen mich heute noch! Nach einem Jahr! Im Bus plötzlich, „Hallo Tina!“, das ist toll. Manche haben mich zum Tee eingeladen, wenn sie mir dann 33 mal ihren Namen gesagt haben, merk ich mir den dann auch mal (lacht). Wir sind doch alle irgendwo Ausländer, fahr ich in Urlaub – bin ich Ausländerin. In Spanien bin ich die Deutsche, die Ausländerin, natürlich. Wir müssen alle in einen Pott und zusammenarbeiten. Es gibt so ein schönes Kirchenlied: „Miteinander leben“. Wir müssen zusammen sein, uns entdecken. Wir müssen gucken, wie ist Ihre Mentalität, wie ist Ihre, wie ist meine. Die muss ich akzeptieren lernen. Sie lernen von mir, ich lerne von ihnen. Das ist wichtig. Und nicht nur „Ich hab aber Recht“. Das geht nicht. Keiner hat Recht. Jeder empfindet ein Empfinden anders. Und da kann ich von ihnen lernen. Das ist interessant.

Vielfalt ist also etwas Positives für Sie? Was heißt Vielfalt für Sie?

Eigentlich nur ein Wort: Das Leben ist Vielfalt. Schon die verschiedenen Stufen – man denkt mit 20 anders als mit 40, und mit 40 Jahren anders als mit 60, und es läuft ja immer so weiter. Das ist doch Vielfalt. Meine Erlebnisse, meine Erfahrungen, was ich gegeben habe, was ich bekommen habe, was mir genommen wurde. Das ist für mich Vielfalt. Ist ja nicht von 8 bis 12 und fertig. Das Leben ist schön bunt. Das gefällt mir. Man weiß nie heute, was passiert morgen. Wen triffst du morgen? Gestern hab ich mich mit einem Wildfremden ne halbe Stunde unterhalten – hochinteressant. Und eigentlich aus dem Nix, gesehen, wir kamen in Gespräch. Witzig, über Gott und die Welt.

Was heißt Solidarität für Sie?

Zusammen etwas machen. Anteil nehmen? Zusammen ja… etwas machen. Ich kann es gar nicht anders ausdrücken. Und eine Anteilnahme an meinen Mitmenschen. Wenn jemand traurig ist, erzähl‘ ich dem ’nen Witz, dann versuch ich den aus seiner Trauer rauszuholen. Und mich auf Menschen einzustellen. Jeder ist anders. Und ich stell mich auf den Menschen ein so wie er ist. Ist er ruhig, bin ich auch ruhig. Das sehe ich so… als solidarisch.

Und hat sich der Stadtteil in Ihren Augen sehr verändert in den letzten Jahren?

Ich wohne jetzt erst seit 2018 in Eidelstedt, aber ich les ja auch viel. Ich habe das nochmal nachgelesen. Es wurde schon ganz viel gebaut. Richtung Eidelstedter Platz, dann wo die AKN ist, dann Rathaus Stellingen – also Eidelstedt war ja eigentlich so, naja, da wohnt man. Viele Ältere, keine Disco, vielleicht ne Gaststätte, gut, heute geht keiner mehr in eine Gaststätte. Früher war das ja so Usus, dass die Leute nach Feierabend in eine Gaststätte gegangen sind.

Aber jetzt ist viel Angebot und eben durch die Wohnungen, die sehr preiswert sind. Es kommen sehr viele Familien. Jetzt wird hier gelebt. Ich kann nur sagen, vor zweieinhalb Jahren, da war das alles noch nicht. Ich seh das ja immer vom Bus aus und wieder ein Bau, wieder was angefangen, da sind se am bauen. Das hat sich schon sehr verändert.

Ich bin ja von Lüneburg jeden Tag mit meiner Akte unterm Arm nach Hamburg und hab Wohnung gesucht. Und wenn ich alles abgehakt hatte, Bewerbungen abgegeben, hab ich mich immer in den Bus gesetzt und mir mal den, mal den Stadtteil angeschaut. Dann hab ich mir Notizen gemacht, findste gut, nicht so gut, prima, dufte. Und dann war ich in Eidelstedt und dachte: Och, hier würdste gerne wohnen. Eidelstedter Platz, da sind viele Busse, das ist zentral, und da ist n Woolworth – da dacht ich: Wie in Berlin! Und dann steht da noch Bratwurst zum halben Preis. Ich bin Veganer, also ich ess das gar nicht, aber ich dachte, dass ist ja wie in Berlin: „Halbet Huhn!“ Ich denke, wo bist‘n hier? Das hat mir so gut gefallen, so ein bisschen dörflich, der Marktplatz, da war ich von den Socken! Nun bin ich hier.

Also urpsrünglich sind Sie aus Berlin?

Ja, aus Rudow. Da hab ich lange gewohnt, dann kam die Scheidung und das Kinderheim hat zugemacht, wo ich gearbeitet habe. Dann habe ich Urlaub in Bleckede gemacht und dann dachte ich, die Gegend gefällt mir. In Lüneburg habe ich dann Arbeit und Wohnung gefunden und da haben wir 15 Jahre gelebt. Wenn du den ganzen Tag arbeiten bist, bist du abends froh, wenn nur noch der Hahn kräht und Ruhe. Aber wenn man dann den ganzen Tag zu Hause ist, will man dann ein bisschen Party haben. Und dann habe ich gedacht, jetzt geht’s ab nach Hamburg, da machste nichts verkehrt.

Was haben Sie gearbeitet?

Zweiundvierzig Jahre und Altenpflegerin, in einer geschlossenen Psychiatrie. Das war krass, aber man stellt sich da so völlig Verwirrte vor. Das ist ja nicht immer so. Das sind Leute, die sind einfach nur krank, aber man kann sich ganz normal mit denen unterhalten. Das ist in so vielen Dingen so, man hat da oftmals ein ganz falsches Bild.

Haben Sie Ihren Beruf gerne ausgeübt?

Absolut erfüllend. Aber ich konnte nicht mehr. Ich bin schon seit 2013 in Erwerbsunfähigkeitsrente. Da geht nix mehr. Meine Luft. Ich konnt ja.. das sind ja sehr bepackte Leute und dann hieß es immer: „Schnell, beeil dich! Mach mal schnell, schneller!“ – schnell kann man keinen versorgen! Und diese Zeitangaben, wie lange der isst … man muss nem Menschen doch die Chance geben, dass er kauen darf. Und ich stopf‘ ihm da das Essen rein? Der ist doch kein Mülleimer! Das hat mich fertig gemacht, du hast ja keinen Einfluss, wie der isst. Der eine braucht lange, der andere isst schnell. Das ist nicht gut, was die Politik da macht. Man kann nicht schnell einen Menschen pflegen. Das macht einen auch fertig. Stehst da, guckst immer ob du in der Zeit bist, haste das nun auch gut gemacht, hinter dir die Chefin – da konnte ich nicht mehr. Da hab ich dann gesagt, bevor noch was passiert, geh ich zur Reha. Und da haben sie mich dann gefragt, ob ich in Rente will. Ja, es bringt ja auch nichts. Ich bin laufend krankgeschrieben. Nimm anderen den Arbeitsplatz weg. Jetzt bin ich hier zu Hause, ohne Druck ist besser. Heute geht es mir gut. Morgen geht es mir schlecht. Aber ich kann entscheiden, was ich mache.

Vielen Dank für das Gespräch!

 

 

Hallo, ich bin Rim! Ich bin Deutsch-Dozentin, aber arbeite jetzt neuerdings auch in einem islamischen Bestattungsinstitut. Ich bin ein sehr optimistischer und zuversichtlicher Mensch. Ich habe meinen Frieden mit der Welt gefunden und versuche den Menschen in meiner Umgebung mit Empathie und Nächstenliebe zu begegnen – und einem Lächeln!

Rim, Du wohnst ja nicht direkt in Eidelstedt, aber kennst den Stadtteil vor allem durch dein Engagement. Was hast du alles gemacht?

Genau ich wohne in Schnelsen, das ist ja gleich nebenan. In Eidelstedt war ich viel, als 2015 / 2016 die Camps hier waren. Hier war ich eigentlich jeden Tag, die Camps waren mein zweites Zuhause. Ich spreche ja Arabisch und dann habe ich vor allem die Arabisch sprechenden Familien unterstützt. Und das ging dann auch noch viel weiter, das war nicht vorbei als sie weggezogen sind. Viele wurden immer wieder versetzt. Also von hier in andere Camps und dann wieder in andere Camps und dann bis zur Grenze bei Schleswig-Holstein. Ich bin mit ihnen immer so mitgelaufen. Die Lage hier war ja sehr schwierig. Es sind so viele Menschen auf einmal gekommen und Deutschland war ja erst einmal völlig überfordert. Es gab keine Duschen, keine sanitären Anlagen, sie haben auf dem Fußboden geschlafen und dann gab es einen Wasserschaden, alle sind nass geworden und hatten keine Betten. Das musste ja so Stück für Stück erst alles aufgebaut werden. Und dann mussten die Asylanträge gestellt werden, einige sind dann auch jahrelang hier geblieben. Manche wurden auch wieder abgeschoben. Insgesamt war es eine sehr problematische Situation.

Was hat dich so motiviert? Also was war dein Impuls, da zu helfen?

Ja, ich glaube, das steckt schon in mir drin, seit ich klein bin. Meine Familie sagt auch immer: „Du wieder mit deinem sozialen Tick!“ Ich glaube, meine Empathiefähigkeit ist sehr, sehr ausgeprägt. Das war schon, als ich ein Kind war. Und ja … warum? Ich denke, weil ich immer das Gefühl habe, mir geht es gut, gesundheitlich, meine Eltern sind hier und es gibt immer Familien oder Kinder, denen es immer schlechter geht als mir. Also ich kann nicht die Welt verändern, aber ich finde, wenn jeder eine Kleinigkeit Gutes tut, das kann schon wirklich so viel verbessern.

Man sollte auch nur das machen, was man schafft. Manche haben viele Kinder, dann geht das nicht. Aber wenn du, zum Beispiel, weißt, einer Nachbarin geht es nicht gut, reicht es manchmal schon, mal einen Teller Essen zu bringen oder eine kleine Freude zu schenken. Zum Beispiel wie ich gesagt habe, dass ich den Arabisch sprechenden Familien geholfen habe. Die haben mir später gesagt: Das war so ein Trost, jemanden hier arabisch sprechen zu hören. Das alleine hat geholfen, egal was ich gesagt habe. Aber, dass ich, als die hier Geborene, arabisch spreche hat ihnen gut getan.

Was bedeutet Vielfalt für dich?

Vielfalt heißt verschiedene Kulturen, mit oder ohne Migrationshintergrund, verschiedene Hautfarben, einfach vielfältig zu sein und jeden eben so zu akzeptieren, wie er ist. Für mich spielt es keine Rolle, welcher Religion du angehörst, welche Herkunft du hast. Das Herz, dass der Mensch hat, das ist für mich am Wichtigsten. Hauptsache er ist gut. Und es kann auch mein Landsmann sein, der nicht gut ist, und der andere ist nicht mein Landsmann und ein liebenswürdiger Mensch. Menschlichkeit ist mir einfach am wichtigsten.

Also für mich gesprochen – ich bin in Deutschland geboren, habe aber Migrationshintergrund, meine Eltern kommen aus Tunesien. Ich habe aber einen türkischen Mann geheiratet, deswegen denken viele ich bin Türkin, wegen meines Nachnamens. Ich bin mein ganzes Leben lang hier in Deutschland, aber ich habe auch andere Einflüsse. Ich muss doch jetzt nicht nur in eine Richtung gehen, mich für eine entscheiden. Ich kann doch auch vielfältig sein – so wie ich bin, bin ich vielfältig. Und andere Menschen, wie ich, sie möchten so akzeptiert sein und sich wohlfühlen können wie sie sind.

Deine Biografie zeigt, dass Migration nach Deutschland nichts Neues ist. Dennoch ist es in den letzten Jahren nochmal anders thematisiert worden. Hat sich Deutschland in deinen Augen in den letzten Jahren noch mal mehr verändert?

Ja, ich muss sagen, also mir kommt das so vor, als hätte sich Deutschland eher in eine negative Richtung entwickelt. Als ich klein war, spielte es keine Rolle, wer woher gekommen ist. Mein Vater zum Beispiel ist Gastarbeiter, das heißt sie haben ihn aus der Heimat hier nach Deutschland hergeholt! Also die Firma ist extra von Deutschland nach Tunesien gereist und hat meinen Vater hier nach Deutschland hergeholt . Damals spielte es keine Rolle, woher man kam. Man war einfach Multikulti und hat den anderen so akzeptiert. Aber ich finde diese Wut oder diese … dass das alles fremd ist …. das hat sich so ein bisschen hochgeschaukelt. Plötzlich ist wieder wichtig, woher du kommst oder wer deine Eltern sind. Also es gibt natürlich beides, es gibt auch viele Menschen, die sind freundlich und offen. Aber die Grundstimmung hat sich schon mehr ins Negative verändert. Als zum Beispiel Joko und Klaas sich für die Flüchtlinge ausgesprochen haben, haben sie einen gewaltigen Shitstorm abbekommen. Da dachte ich nur: „Wie traurig!“ In den 90ern bei den Angriffen auf Flüchtlingsheime hat Deutschland doch auch Lichtermärsche organisiert und sich dagegen ausgesprochen. Aber jetzt…

Ich glaube die Menschen sind unzufrieden und haben Angst vor diesem “Fremden”. Ich glaube, da muss auf beiden Seiten besser kommuniziert werden. Also von den Menschen mit Migrationshintergrund, die dann manchmal so unter sich sind und von den Deutschen, die dann immer vor allem Fremden Angst haben. Ich denke, wenn Du jemanden kennenlernst, ist er nicht mehr fremd. Und dann sieht man, alle sind Menschen wie du und ich. Wenn du einen Menschen kennenlernst, seine Biografie und sein Denken, dann verstehst du die Person viel leichter.

Du trägst ein Kopftuch und bist Lehrerin, hat dich das vor Probleme gestellt?

Ich kann theoretisch in allen Schulen in Deutschland unterrichten, nur kann ich nicht verbeamtet werden. Also Grundschule, Hauptschule und Gymnasium. Aber ob die einen so auch nehmen? Also wenn ich jetzt eine Bewerberin bin und nochmal drei, vier andere ohne Kopftuch – das ist immer eine offene Frage, aber ich habe die Erfahrung gemacht, dass das Kopftuch nicht so gerne gesehen ist in der Realität.

Aber ich bin so ein Mensch. Ich verzage nicht. Ich bin gläubig und ich sage immer, Gott hat mir viele Wege geöffnet. Wenn sich eine Tür geschlossen hat, haben sich vielleicht zehn andere Türen wieder geöffnet. Ich bin so ein positiver Mensch und das was ich bin, verkörpere ich auch. Oft sehen Menschen bei mir zuerst das Kopftuch, aber dann wenn sie mich, also meine Persönlichkeit kennenlernen, dann merken sie was ich für ein Mensch bin. Dann haben sie mich doch immer eingestellt. Oder es ist auf Umwegen auf mich zugekommen. Eigentlich habe ich mich gar nicht so oft beworben. Ich bin ja auch viel ehrenamtlich tätig, und dann lernen Menschen mich kennen, vermitteln mich weiter und so kommt eins zum anderen. In der Regel, wenn mich Menschen kennenlernen, trauen sie mir auch alles zu. So bin ich auch zu meiner jetzigen Arbeit im Bestattungsinstitut gekommen. Und das hätte ich gar nicht vorher von mir erwartet, dass das etwas für mich ist. Aber ich habe jetzt gemerkt, dass ich etwas ganz Wunderbares kann: Ich kann Menschen Trost spenden. Und das ist etwas ganz Besonderes.

Wir haben auch eine Vorbildfunktion. Also ich finde, die Frauen, die Kopftuch tragen, haben eine Vorbildfunktion. Sie verkörpern ja das Kopftuch und müssen sich auch oft dafür rechtfertigen. Ich trage es nicht, weil mich jemand gezwungen hat oder so. Meine Mutter, meine Schwester tragen alle kein Kopftuch. Das war meine eigene Entscheidung im späteren Alter, also mit 33 habe ich angefangen Kopftuch zu tragen. Und oft werde ich dann gefragt: “Wurdest du jetzt von deinem Mann gezwungen?” Der war selbst im ersten Moment schockiert! Er meinte, bist du sicher, dass du das tragen willst?

Was ist für dich Solidarität?

Allgemein gesprochen ist Solidarität für mich Loyalität. Man ist solidarisch mit dem Nächsten, deinem Nachbarn vor der Tür oder außerhalb. Dass man zwischenmenschlich miteinander gut umgeht und sich gegenseitig zum Beispiel auch mal ein Lächeln schenkt. Dann ist es schon doch gleich viel schöner, oder? Dass man nett und gerecht zueinander ist, auch außerhalb der Familie und Mitgefühl zeigt.

Was hat Corona mit Dir gemacht?

Mir tut es vor allem um die Kinder leid. Ich habe versucht, so viel Normalität wie möglich einzubringen, aber klar – in der Kita oder Grundschule war das Thema. Am Anfang wurden ja auch die Spielplätze abgesperrt. Die Zeit, als ich mich noch mit einer Mutter mit Kind treffen durfte, fand ich das ok – aber als man sich dann nicht einmal mehr mit einer anderen Mutter treffen durfte, das fand ich schon nervig. Aber die Selbstmordrate und die Gewalt gegen Kinder und Frauen ist gestiegen – das fand ich wirklich schlimm.

Seit ich im Bestattungsinstitut arbeite, habe ich auf so vieles auch noch mal einen anderen Blick bekommen. Wo ich früher bei Sachen rumgemotzt habe, denke ich jetzt: „Lieber Gott, danke, dass du mir so viel Gesundheit geschenkt hast, eine Familie und Freundinnen.“ Das ist so viel wert. Manche Frauen in meinem Alter, oder jünger sterben und konnten nie eine Familie gründen. Es sterben ja auch Kinder, das verdrängt man im Alltag sonst sehr. Ich beschäftige mich schon mehr mit meinem eigenen Tod, aber trotzdem ist es immer noch so dieses nicht wahrhaben wollen. Aber es wird mir alles viel bewusster, es macht mich schon nachdenklicher. Nicht im negativen Sinne, nachdenklicher, sondern eher finde ich im positiven Sinne, dass man weiß, es kann jeden Tag vorbei sein. Irgendwie macht mich das auch dankbar.

Vielen Dank für das Gespräch!

Skip to content